Auf ein Wort

....... habe ich nach einem halben Jahr bereits erkannt, dass mir Judo hier nicht viel helfen wird. So habe ich wieder aufgehört und weiter Fußball gespielt. Dank der Unterstützung meines Vaters, der die Hoffnung nie aufgegeben hat, kam ich dann zum Karate. Auch das war für mich nicht die Erfüllung, denn was ich gelernt habe, war Grundschule. Jedes Training durch die Halle mit Fauststößen. Auch hier habe ich es nur knapp 6 Monate ausgehalten. Ich selbst fand dann ganz in der Nähe meiner Wohnung das Taekwondo. Die 6 Monatsregel sollte hier erneut treffen, denn ich lief wieder durch die Halle. Allerdings dieses Mal mit Beintechniken. Ich hörte wieder auf und ging erneut zum Fußball. Wir hatten in der Zwischenzeit schon 1977 und ich ging inzwischen in die Wirtschaftsschule. Dort machte ich zum ersten Mal die Bekanntschaft mit dem Wort Kun-Tai-Ko. Einer meiner Schulkameraden lief auf seinen großen Zehen durch das Klassenzimmer. Das hat mich so beeindruckt, dass ich ihn fragte, ob das nicht schmerzt. Er sagte nur, dass er das im Kun-Tai-Ko lernt und in dieser Sportart bereits den gelben Gürtel hat.

 

Natürlich wollte ich sehen, was es damit auf sich hat. So gingen Raimund Herold, damals mein bester Freund und Schulbanknachbar, sowie zwei andere Schulkameraden zum ersten Kun-Tai-Ko Training nach Brannenburg. Zunächst haben wir nur zugesehen. Was ich aber sofort erkannte war, dass hier die Fäuste, die Beine, das Greifen und Werfen und sogar eine Art Wettkampf trainiert wurde. Also alles, was ich kompliziert in Einzeldisziplinen im Judo, Karate und Taekwondo gelernt habe. Seit meinem Beginn des Anfängerkurses 1977 (der damalige Trainer war Norbert Punzet) war ich wie besessen von dieser Stilrichtung. Noch im gleichen Jahr hatte ich das Vergnügen und vor allem die Ehre, den Gründer Lucien V. Ott kennenzulernen. Eine für uns alle sehr charismatische Person mit einer Legende im Handgepäck.

 

Fremdenlegionär, Offizier, Stuntman, Buchautor, Sicherheitsexperte, Personenschützer .... Ein Mann für alle Fälle. Seine Geschichte war derart spannend, dass ich immer mehr von ihm wissen und lernen wollte. Als ich 1979 in den Bundesgrenzschutz (BGS) eintrat, kam auch bei mir zum Kampfsport noch die behördliche Sicherheit hinzu. Das Training war eine Symbiose die perfekt zueinander passte. Jetzt konnte ich Lucien V. Ott - unseren "Maitre" immer mehr verstehen.

 

In den folgenden Jahren sah mich Maitre Ott mit anderen Augen, denn ich besuchte ihn zunächst in seinem Dojo in Drogenbos, einem Stadtteil von Brüssel, fuhr mit ihm nach Liege, um dort mit der Polizei zu trainieren und wurde dort auch gleich von Maitre Ott eingewiesen in die hohe Kunst des schmerzhaften Anti-Terror Trainings. Wir spielten in verschiedenen sehr intensiven Szenarien Straßenkontrollen durch, sind gemeinsam auf dem Schießstand zum taktischen Schießen und ich wurde anschließend Ehrenmitglied des Defense & Security der Polizei Liege.

 

1983 begegnete ich meinem damaligen Sportkameraden Adi Bernard Junior als ich mit meiner Frau durch Rosenheim geschlendert bin. In einem kurzen Gespräch fragte er mich, ob ich ihm in Rohrdorf als Assistenztrainer helfen könne, denn auch er hat sich (wie ich auch) vom ersten Trainer getrennt. Er wolle seine eigene Schule in einem Verein starten. Ich war dabei sofort Feuer und Flamme und an Adi’s Seite. Adi musste jedoch bereits kurz darauf mit der Bundeswehr weit von Rosenheim weg, um eine berufliche Karriere zu starten. So übergab er die Leitung mir. Neben Rohrdorf, eröffnete ich 1985 auch noch eine Abteilung Kun-Tai-Ko beim MTV Rosenheim und unterrichtete ab 1986 in der US-Base Bad Aibling die Gi’s und deren Familien. Dem kam noch ein Fitnessstudio im Zentrum von Rosenheim hinzu und dann noch ein Fitnessstudio in Bad Aibling. In beiden habe ich Kun-Tai-Ko und Kickboxen unterrichtet.

 

Während dieser wunderschönen und spannenden Zeit besuchte ich immer wieder Maitre Ott zum gemeinsamen taktischen, wie auch dem Kun-Tai-Ko Training und hatte ihn auch mehrmals, zusammen mit James G. Shortt (sein engster Vertrauter in Sachen IBA) in mein inzwischen eigenes Dojo nach Rosenheim eingeladen. Ich war süchtig, von diesem Mann zu lernen. Er war zukunftsweisend, hatte Visionen und teilte einige dieser Visionen mit mir. 1987 wurde ich zusammen mit meinem Freund Adi Bernard Junior, sehr überraschend und unerwartet durch Maitre Ott in Brüssel zum 3. Dan geprüft. Es folgten 1988 die erste Interstage in Rosenheim, die ich in der Luitpoldhalle organisierte (wir waren bis unters Dach ausgebucht). Dann noch ein Training mit Schießen in Antwerpen und noch ein intensives Training in Brüssel und kurz darauf war die Welt um ein Vorbild, einen Visionär und Freund ärmer und geschockt!

 

Ich kann jetzt nur für mich sprechen; eine Welt brach für mich zusammen, als mein Idol kurz nach meinem letzten Besuch verstorben ist. Am 10. Februar 1990 ereilte mich die traurige Nachricht, dass Maitre Ott nicht mehr unter uns weilt. Seinem letzten Willen folgend, bin ich in Uniform mit einem meiner Schüler zgl. Kollegen des BGS und meinem damaligen Freund Adi Bernard Junior sowie Maitre Ott's engstem Freund (James G. Shortt) als Sargträger in Belgien gewesen. Wir haben ihm so die letzte Ehre erwiesen und ihn zu Grabe getragen. Maitre Ott war geheimnisvoll, er war mystisch, er war ein unglaubliches Vorbild, er war streng, aber gerecht, er war so, wie heute jeder Meister sein sollte. Seine Lehre, sein Wissen, seine Technik haben mich geprägt. Ich habe nach seinem Ableben nach Charakteren wie ihm gesucht, doch er war einzigartig. Ihm habe ich es zu verdanken, dass ich vieles in meinem Leben gemeistert habe. Ihm habe ich es zu verdanken, dass ich bin wer ich bin. Zu jedem Weihnachtsfest, aber vor allem an seinem Todestag halte ich inne und denke ganz fest an diesen wundervollen Menschen, der sehr viele Ecken und Kanten hatte. Der nicht einfach war und dennoch für viele von uns genial und wie ein Vater. Getreu der Weisheit; wenn Du einen guten Lehrer suchst, wähle keinen bequemen", war er der Richtige.

 

Am 21. Dezember 2021 wäre Maitre Ott's 92. Geburtstag. Am 10. Februar 2022 war sein 33. Todestag. 2012 besuchte ich auf Einladung seines Nachfolgers James G. Shortt und seines Sohnes Didier Max Ott, das Jubiläumstreffen der International Bodyguard Association in London. Die sterblichen Überreste von Maitre Ott wurden zu diesem Zeitpunkt nach London verlegt und wir besuchten zu dritt sein Grab. Es gab mir erneut viel Zeit über alles nachzudenken, was dieser Große Meister mir alles gegeben hat. Doch was ich nach dem gemeinsamen Besuch der Grabstätte aus den Händen seines Sohnes Didier und  seines einzigen Erben in Punkto Kun-Tai-Ko und IBA, James G. Shortt erhielt, rührte mich vor Ehrfurcht zu Tränen. IBA Nachfolger war zweifelsohne James G. Shortt, doch einen offiziellen Nachfolger für das Kun-Tai-Ko gab es bis zu diesem Zeitpunkt nicht. Mir persönlich war dies nicht bekannt. Durch den per Testament berechtigten Rechteinhaber aller Hinterlassenschaften auch in Bezug auf Kun-Tai-Ko, sowie durch seinen Sohn Didier, wurde mir die Ehre und zugleich Bürde zuteil, dass ich zum alleinigen Nachfolger für Kun-Tai-Ko bestimmt wurde. Für diese Ehre danke ich der Familie Ott und auch James G. Shortt, der leider in diesem Jahr ebenfalls verstarb.

 

Als Fazit möchte ich hier anmerken, dass ich nun 5 Jahre älter bin, als Maitre Ott es an seinem Todestag war. Er schied mit 59 Jahren aus dem Leben. Hätten wir in den 80er Jahren bereits Social Media und Internet gehabt, wäre Kun-Tai-Ko wohl die am schnellsten gewachsene Multi-Martial Arts Stilrichtung geworden. Im Namen wirklich aller Kun-Tai-Ko Schüler und Meister in der Welt, möchte ich mich noch einmal bei Maitre Ott, einem Freund, Mentor und Vorbild, dafür bedanken, was er durch seine Visionen des "KLEINEN MÄCHTIGEN KÖRPERS" geschaffen hat. Auch danke ich der Familie Ott, vor allem Didier Max und James G. Shortt für das in mich gesetzte Vertrauen. Ich werde den Stil und den Namen sowie die Lehre nach meinen Möglichkeiten weiterhin positiv in der Welt verbreiten. Für alle Schüler, die einen direkten Einblick in die Historie des Kun-Tai-Ko möchten, biete ich gerne meine Hilfe und Zusammenarbeit an. Möge der Geist von Maitre Ott auch weiterhin in uns sein und seine Lehre die Welt bereichern. Danken möchte ich auch Norbert Punzet als meinen ersten Lehrer und meinem damaligen Freund Adi Bernard Junior, der mich einlud in Rohrdorf wieder durchzustarten. Es ist für mich faszinierend, wie meine Schüler, die heute als Meister immer noch aktiv sind, die Geschichte der eigenen Entwicklung neu oder unvollständig geschrieben haben.

 

Abschließend möchte ich noch etwas Persönliches sagen:

Niemand ist perfekt. Vor allem, wenn man noch jung und unerfahren ist. So auch ich nicht! Ich war auch mal jung und habe versucht das Richtige zu tun. Auch für andere! Dass im Nachhinein nicht jede Entscheidung perfekt war, war ein manchmal schmerzlicher Umstand, den ich bereut habe, aber leider nicht mehr korrigieren konnte. Aber was ich ruhigen Gewissens sagen kann, ist, dass ich stets ehrlich war und auf der richtigen Seite des Gesetzes stand.